Waldstetten (Druckversion)
Autor: Frau Herkommer
Artikel vom 13.04.2022

Soirée: Franz Merkle im Gespräch mit Landrat Dr. Joachim Bläse in der Mensa der Gemeinschaftsschule Unterm Hohenrechberg am Sonntag, 10. April 2022

Wenn jemand für einen anderen da ist, das ist Familie

Sein Arbeitstag beginnt um 7.05 Uhr mit der Fahrt in seinem E-Auto nach Aalen und endet um etwa 22 Uhr. Dazwischen liegen zahlreiche Termine und Besprechungen – viele online. Als Ausgleich trifft er sich am Sonntagmorgen mit seinem Lauftreff, wofür dem gläubigen Lindacher die Ortsgeistlichen Verständnis entgegenbringen: „Laufen ist Ihr Gottesdienst.“ Den Blick hinter die Kulissen eines Landrats durften die Zuhörer am Sonntagabend beim Gespräch von Dr. Joachim Bläse mit Franz Merkle werfen.

Das Interview begann nach der musikalischen Eröffnung durch die Bläserklasse der Gemeinschaftsschule Unterm Hohenrechberg und Begrüßung von Schultes Michael Rembold mit der Frage nach Kindheit, Familie und Schulzeit. Aufgewachsen als ältestes Kind in einer Handwerkerfamilie - der Vater Lindacher, die Mutter Österreicherin – und von klein auf immer krank, „ich erlebte keine Einschulung“, ist er nie weggezogen. Die Bürger dort sehen ihn nicht als Landrat, sondern als Mitbürger, weshalb er auch bei den örtlichen Vereinen anzutreffen ist. Im Sport war er nie herausragend, weder in der Schule noch beispielsweise als kleiner Fußballer. Seine Stärke fand „Speaker“, wie er im Parler-Gymnasium genannt wurde, als Schülersprecher. Wofür er mit dem Sonderpreis der Schule ausgezeichnet wurde. „Meine Lehrer haben mich stark gemacht“, blickt er dankbar zurück.

„Wer hat Ihnen den Impuls gegeben, für den Landrat des Ostalbkreises zu kandidieren?“ war die nächste Frage. Hierzu gab er unumwunden zu, nie daran gedacht zu haben, Politiker zu werden. In der Schule war er geschichtlich-politisch interessiert und hatte eine kirchliche Orientierung. Leitete auch die Kinderkirche im evangelischen Lindach. Doch Pfarrer zu werden, sei ihm dann doch zu eng gewesen. Sein Berufsweg führte ihn über ein Jura-Studium zur Tätigkeit als Rechtsanwalt. Parallel war er Ortschaftsrat und stellvertretender Ortsvorsteher in Lindach. Es folgte die Tätigkeit als Zweiter und anschließend Erster Bürgermeister in Schwäbisch Gmünd. Als das Thema Landrat aufkam, war für ihn klar, dass dies nur in dem Landkreis sein würde, in dem er wohnt.

Wertigkeit der Projekte in der Pandemie verschoben
Als in der Coronazeit startender Landrat musste er schnell feststellen, dass sich die Wertigkeit der Projekte verschieben werde. Es habe schon genügend Herausforderungen und Veränderungen gegeben, die es zu gestalten gab, dann kamen die Pandemie und jetzt der Ukraine-Krieg. „Ich bin stolz, was wir in Ostalbkreis gestemmt haben“, so Bläse und ergänzt: „Wir Deutschen loben zu wenig.“ 2.200 Ukrainer bekamen innerhalb kürzester Zeit eine neue Bleibe. Für ihn wichtig seien die Umwelt, das Klima, künstliche Intelligenz. Und er weiß, dass wir Zuwanderung benötigen, denn es wird immer mehr Ältere und weniger Jüngere geben. Ein Pilotprojekt für Ältere müsse kommen. Hierbei lobte er auch das Engagement von Schultes Michael Rembold und Quartiersmanagerin Magdalene Rupp. Und dem Familienmenschen ist sehr wichtig, dass Religionen und Kulturen keine Ausgrenzung erfahren. Seine Definition von Familie lautet daher: Wo jemand für einen andern da ist, das ist Familie.

Dieses Zusammengehörigkeitsgefühl zeigt sich auch deutlich in der Definition des Ostalbkreises anlässlich seines 50-jährigen Bestehens im nächsten Jahr. So wird in allen Landratsämtern jedes Wochenende die Fahne einer der Kommune des Landkreises aufgehängt. Und es gibt einen Slogan: wir sind schwäbisch, wir sind patent, wir sind vielseitig.

Kinder stark machen
Kinder sind dem Landrat sehr wichtig. Das zeigt sich in dem neuen Sportprogramm für Kinder aus ärmeren Verhältnissen. Ihnen soll die Tür zu den Vereinen geöffnet werden, wofür sich vier regionale Firmen mit engagieren, indem sie die Mitgliedsbeiträge für Neuzugänge subventionieren. „Integration ist kein Selbstläufer, da sind wir alle gefordert“, so Bläse. Der älteren Generation rechnet er im Gegenzug hoch an, dass sie den Generationenvertrag nicht gekündigt hat. Und er stellt die Frage in den Raum: „Ab wann ist ein Mensch älter? Lasst uns genau hinsehen, wann jemand in den Ruhestand treten kann.“ Denn dies hänge sehr stark davon ab, wann der Berufseinstieg stattfand.

Wen Bläse gerne kennengelernt hätte, lautete die nächste Frage Merkles. Als überzeugter Protestant wäre dies Martin Luther gewesen, gibt Bläse zu. Aber auch Angela Merkel, der er große Bewunderung zollt: „Sie war ein Staatsdiener. Deutschland wurde geprägt von Menschen, die als Staatsdiener tätig sind.“ Fehlende Dialogbereitschaft hingegen nannte er auf die Frage, wovor er Angst habe. „Wir zeigen der Jugend, dass das Recht des Stärkeren gilt, anstatt den Umgang mit Mehrheitsentscheidungen zu stärken.“ Es sei falsch, dass nur diejenigen Helden seien, die ihre Interessenten durchsetzen, betonte er mit Blick auf Wladimir Putin und Donald Trump. Die Jugend habe Angst. Daher appellierte er an sie: „Lasst Euch nicht unterkriegen, es ist Euer Leben, Eure Zukunft.“

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