Volkstrauertag: Feierstunde am 17. November 2024 auf dem Friedhof in Waldstetten
„Du rennst weg, um Dein Leben zu retten. Aber wohin Du rennen sollst, weiß niemand“
Bewegende Biografien, ergreifende Lieder, nüchterne Zahlen, Denkanstöße – mit diesen Stichworten lässt sich die Feierstunde zum Volkstrauertag auf dem Waldstetter Friedhof am vergangenen Sonntag umschreiben.
Den Auftakt machte Jugendbeirat Elias Hofele mit der Aufzählung nüchterner Daten zu vergangenen und aktuellen Kriegen. Einfach in den Raum gestellt und damit die Zuhörer in der gut besuchten Aussegnungshalle zum Nachdenken animiert. Was anschließend die 16-jährige Hajer Darkuschi über ihre Kindheit in Syrien erzählte, war erschütternd. Sie beschrieb eine Nacht wie viele davor und danach: „Es ist dunkel, jemand zieht mich aus meinem Bett, Schreie sind zu hören. Ein Flieger ist über uns und wir müssen schnell weg. Wir müssen immer rennen, wohin ist nicht wichtig. Du rennst weg, um Dein Leben zu retten, aber wohin Du rennen sollst, weiß niemand." Hajer Darkuschi ist damals acht Jahre alt. Auf ihre Frage, warum sie getötet werden sollen, erhält sie keine Antwort, denn sie verstand nichts von Politik. „Ich wollte für mich immer eine schöne Kindheit; die habe ich aber erst in Deutschland bekommen“, schließt sie ihren Bericht. Beide Beiträge wirkten durch die musikalische Untermalung von Michael Fauser am Piano noch bedrückender. Hoffnung auf eine bessere Welt machte anschließend der Beitrag von Schülern der Waldstetter Grundschulklasse 4, die das Udo Lindenberg-Lied „Wir ziehen in den Frieden“ sangen.
Schultes Michael Rembold überraschte ebenfalls mit einem Bericht aus seiner Kindheit, die er bei seinen Großeltern verbrachte, da seine Eltern noch sehr jung waren, als er zur Welt kam. Während seine Großmutter mit ihren Heilmitteln seiner, den Ärzten unbekannten Krankheit, entgegentrat, litt der Großvater unter einer Kriegsverletzung am Knie. Um einer Amputation zu entgehen, musste er sich 22 Operationen unterziehen, da sich immer wieder Granatsplitter lösten und im Körper wanderten. Somit verbrachte Enkel Michael viel Zeit im Krankenhaus und am Krankenbett seines Ziehvaters und schwor sich: „Dieses Leid soll sich nicht widerholen“, erklärte Rembold den Anwesenden. Er sei geschockt über die Radikalisierung der Menschen, die er in Gesprächen und Veröffentlichungen, vor allen Dingen in den sozialen Medien, wahrnimmt. „Das ist Verrat an unseren Vorfahren. Mit Hass und Hetze kann ich keine Probleme lösen“, betonte er und schloss mit einem Zitat von Immanuel Kant: „Der Friede ist das Meisterstück der Vernunft“.
Nach dem vom Männerchor des Liederkranzes vorgetragenen Lied „Gebet“ ging der evangelische Pfarrer Jörg Krieg auf die Verwundbarkeit des Menschen ein: „Lieblosigkeit und Aggression, Gewalt und Krieg hat es schon immer gegeben. Auch in Deutschland hat jeder schon Gewalt erfahren – ob im Kindergarten, in der Schule, in der Familie, in der Ehe.“ Jeder Mensch sei verwundbar, das sei nicht zu vermeiden. Und trotz der Fortschritte in allen Bereichen bedrohe Krieg die Menschheit. Doch Gewalt sei nicht das letzte Mittel. „Verwundbarkeit ist auch ein Segen, wenn wir sie denn annehmen wie Jesus“, blickte er in die Bibel. „Einer muss anfangen, aufzuhören“, so sein Appell. „Wo die Liebe lebt“ war dann die passende Antwort des Männerchores auf den geistlichen Impuls von Pfarrer Krieg, ehe der katholische Pfarrer Dr. Horst Walter mit einem Gebet allen Menschen, die durch Kriege, Misshandlung, Armut, Seuchen und Katastrophen verstorben sind, „die ihr Leben für den Frieden gegeben haben“, gedachte. Den abschließenden Akzent der beeindruckenden Feierstunde setzte die Schülerin Inka Müller mit dem indianischen Gedicht „Der große Friede“, das mit der Frage beginnt: „Was ist schöner, als das Land, das kein Grab hat, weil da keine Furcht ist?“
Den Gang zum Ehrenmal begleiteten wieder die jungen Fackelträger der Waldstetter Jugendfeuerwehr sowie die Standarten- und Fahnenträger örtlicher Organisationen und Vereine, wo sie vom Blechbläserensemble des Musikvereins musikalisch empfangen wurden. Nach der Kranzniederlegung durch Schultes Michael Rembold und den ehemaligen Hauptamtsleiter Frieder Kopper gaben Elias Hofele und seine Jugendbeiratskollegin Selina Kornau den Besuchern noch fünf Denkanstöße mit einer Aussage und anschließenden Frage mit auf den Weg: " Frieden wird nicht einfach geschenkt, er ist eine Verantwortung, die wir täglich übernehmen. Welche kleine Handlung können Sie heute tun, um mehr Frieden in Ihr Umfeld zu bringen? Friede ist kein einmaliges Ziel, sondern ein stetiger Prozess. Rückschläge gehören dazu, aber wir dürfen nicht aufgeben. Jede kleine Anstrengung zählt. Er betrifft nicht nur uns hier, sondern die ganze Welt. Unsere Handlungen haben Auswirkungen, weit über unsere Grenzen hinaus.